Von Tränen, Rauch und dem Anfang von allem

„Imma nock traurik? Müssen wir wegräuchern, Traurikkeit!“ Um mich herum qualmte es. Ich musste husten. Und weinen. Und konnte mich nicht bewegen, weil mein Körper mit langen dünnen Nadeln bedeckt war.

Vor dreieinhalb Jahren schenkte mir das Leben eine fette Krise. Mit allem drum und dran. Statt mit Mann und Kind und Hund in einer schönen Altbauwohnung das Leben zu feiern, saß ich da, mit heftigen körperlichen Beschwerden und ohne Job, Geld, Wohnung, Hund oder Menschen, die mich auffangen könnten. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. „Sie haben einen Beziehungsburnout“, hieß es. Das komme vor, bei Menschen, die hochsensibel sind und alles in Kauf nehmen, um geliebt zu werden. Dieses Alles kann viel sein. Dieses Alles kann einen umbringen. Mir war klar: Ich musste etwas ändern, da ich sonst auch das letzte bisschen Selbstwert verlieren würde.

Ich ging in eine Burnoutklinik für chinesische Medizin. Die beste Burnoutklinik Deutschlands. Sicher auch eine der teuersten. Ein Tag in der Klinik kostete soviel wie ich im Monat an Miete zahlte. Ich bekam den Platz geschenkt. Weil ich so eine arme Wurst war und weil der Himmel es so wollte. Das war ein Wunder. Ein richtiges Wunder. Und meine Rettung.

Da lag ich nun also, auf einer Behandlungsliege mit Akupunkturnadeln über meinen ganzen Körper verteilt. Schluchzend, weil ich nicht weiter wusste. Alles war ganz fürchterlich. Bis Herr Lü kam, ein großer drahtiger Arzt für chinesische Medizin. Er hatte einen starken chinesischen Akzent und erzählte philosophische Anekdötchen über den Sinn des Lebens, die natürlich alle in China spielten und alle irgendwie mit Laotse oder Konfuzius zu tun hatten. Ich verstand nur die Hälfte, aber das reichte, um den Sinn zu verstehen.

Während er erzählte, zündete er Moxa-Zigarren an und wedelte den kleinen Behandlungsraum mit dem Rauch von glühendem Beifuss so zu, dass meine Haare auch noch Wochen später danach riechen sollten. Ich hustete und weinte. Und hustete noch mehr. „Sie müssen Traurikkeit rauslassen. Dann wir räuchern sie weg!“, erklärte er und ich musste ein Lachen unterdrücken. Wie absurd das Leben doch manchmal ist, dachte ich.

Dieser Moment fiel mir wieder ein, als ich heute dieses Foto auf meinem Handy wiederfand. Herr Lü, der Meister der Energiemedizin und wahrscheinlich direkte Reinkarnation von Laotse, zeigte uns zum Abschied, wie man Liebe auf Chinesisch schreibt.

Durch ihn und andere wundervolle Menschen durfte ich erleben, dass mich die Liebe zu anderen ohne die Liebe zu mir mein Leben hätte kosten können. Und ich sehe in der Welt, dass mangelnde Selbstliebe zu Narzissmus und Hass führen kann, der ganze Völker in den Abgrund reißt. Durch Herrn Lü habe ich eine der wichtigsten Lektionen in meinem Leben gelernt: Alles beginnt mit der Liebe zu uns selbst.