2020 – Ein lyrischer Jahresrückblick

Ich war wandern. Das kommt nicht oft vor, aber es kommt vor. Manchmal reimt es dann in mir. Folgendes Gedicht kam mir vor kurzem in den Sinn, als ich durch den Schlamm schlurfte.

2020

Du warst das Zerbrechen verstaubter Formen
und hast uns gefragt: „Was sind eure Werte und Normen?“

Du kamst in großen Wellen
dabei wolltest du nur den Weg zu uns selbst erhellen

Du triebst uns in die Einsamkeit
um uns zu finden in der Dunkelheit

Du warst ein herrischer Richter
und brachtest Schatten und Lichter

Du warst das harsche Wort
und dein Wille erschien manchen als Mord

Du warst fallende Blätter
und sich ständig wandelndes Wetter

Du warst Netze, die nicht tragen
Du warst ein „Ich möchte es trotzdem wagen!“

Du warst Liebe, die in Hass umschlägt
und schließlich jeden Kontakt abwägt

Du warst Schlamm und feuchtes Laub
doch bei der Frage „wie lange noch?“ warst du taub

Du warst die Angst vor dem Sterben
und zerbrachst die Hoffnung in Tausend Scherben

Du warst quietschgrüne Vögel und fröhliche Hunde
Du warst eine große seelische Wunde

Du warst ein ewiges Weglaufen
Du warst so viel Zeit und dennoch kein Verschnaufen

Du warst die Angst im Nebel festzustecken
und mit der eigenen Meinung anzuecken

Du warst Ehrgeiz und Arbeitswut
Du warst das letzte bisschen Glut

Du warst die immergleichen Büsche und Bäume
Du warst ein Jahr voller Träume

Du warst loslaufen und anhalten
doch letztlich blieb wenig Raum zum Entfalten

Du warst Sehnsucht nach Nähe
und meintest, dass alles vergehe

Du warst Angst vor der Armut
und wusstest, dass das Geld erstmal ruht

Du warst leere Straßen und Gassen
Du warst die Stille fernab der Massen

Du warst Schatten und Licht
doch die Angst versperrte die Sicht

Du warst ein Spiegel der Welt
Du warst die Erkenntnis, das alles auf uns selbst zurückfällt

Du warst kleine Wolken ganz hoch oben
Du warst mit dem großen Ganzen eng verwoben

Du warst Anfang und Ende
Wir gaben alles in deine Hände

Du warst die Stille
und ein unerschütterlicher Lebenswille

Du warst ein Berg voller Sorgen
und sagtest ganz leise: Das Glück liegt in euch verborgen