Du kannst dich selbst retten!
„Ich rette Katzen. Ich rette wirklich sehr gerne Möbel und ich habe es gern, wenn Menschen drauf kommen, dass sie sich selbst retten können.“ (Petra Hader, Besitzerin eines Selbsthilfecafés)
Im Gegensatz zu verwaisten Katzenbabys und Sperrmüllmöbeln haben wir Menschen wirklich einen riesigen Vorteil, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind: Wir können uns selbst retten. Doch das ist gar nicht immer so einfach.
Warten auf den Retter
Ich gebe es zu: Ich wollte gerettet werden. Ich habe nie von einem Ritter auf einem weißen Pferd geträumt – ich war ohnehin nie ein Pferdemädchen und Ritter waren auch nicht so meins. Aber ich hatte sehr lange gehofft, dass mich endlich jemand von meinem Leid und der Last, die ich trage, erlöst. Das war mir die längste Zeit meines Lebens gar nicht klar. Ich war extrem unabhängig. Ich lebte in verschiedenen Ländern, war ziemlich extrovertiert und hatte so taffe Sachen wie Politikjournalismus und Kriegsfotografie studiert. Klar, es war auch mal schwierig, aber im Großen und Ganzen war ich dafür bekannt, alles alleine hinzukriegen. Ich kannte das auch nicht anders. Ich war immer auf mich gestellt. Schon früh war mein Leben mehr durch die Befindlichkeit meines Vater geprägt als durch meine eigene.
Mein Vater war seit meiner jüngsten Kindheit sehr schwer krank. Er hatte als kleiner Junge seinen Vater im Krieg verloren und hatte im Alter von 10 Jahren die Leiche seiner verhungerten Mutter allein in der Erde vergraben müssen. Er selbst war damals in Ostpreußen so ausgehungert gewesen, dass sein Körper sich nicht gesund entwickelt konnte und er bis zu seinem Tod schwerbehindert blieb. Das psychische und physische Leid, was er durch den Krieg und die lebenslangen Diskriminierungen (auch durch medizinisches Personal) erfahren hatte, brachte ihn schließlich dazu, seine Gefühle wie in einem Tresor wegzuschließen, dessen Inhalt wir Kinder nur erahnen konnten.
Sich mit den alten Strukturen konfrontieren
Dementsprechend sah auch meine Kindheit aus. Ich war früh selbstständig, kannte weder Geborgenheit noch Sicherheit und versuchte irgendwie durchzukommen. Doch so dunkel sich meine Kindheit häufig anfühlte: Ich entwickelte wertvolle Ressourcen. Heute bin ich flexibel, anpassungsfähig, zäh und kann auch nach der größten Niederlage schnell wieder aufstehen. Mit dieser augenscheinlichen Unabhängigkeit zog ich immer wieder Männer an, die Hilfe suchten und unsicher waren – und sich nach einer starken Frau an ihrer Seite sehnten.
Dass es in meinem tiefsten Inneren ganz anders aussah, war mir lange selbst nicht bewusst. Bis ich vor einigen Jahren feststellte, dass ich mich schon wieder in einen narzisstischen Mann verliebt hatte, der mir nicht nur nicht gut getan hätte, sondern auch unerreichbar war. Zwar ahnte ich schon seit meiner Jugend, dass meine Beziehungsmuster nicht ganz gesund waren, doch erst in diesem Moment musste ich schmerzlich erfahren, dass ich im Autopilot flog und immer und immer wieder das Verhältnis zu meinem Vater wieder aufleben ließ.
Wir können unser Glück selbst erschaffen
Und dabei muss ich betonen: Ich – also in erster Linie mein Unterbewusstes – erschuf ungesunde Beziehungen. Ich war vielleicht in meiner Kindheit Opfer meines Vaters (der wiederum Opfer seines Schicksals war), aber als Erwachsene war ich die Schöpferin meines Unglücks. Und genauso wie ich mein Unglück erschaffen hatte, konnte ich nun mein Glück erschaffen. Ich konnte und durfte mich selbst retten.
Es wäre gelogen, zu behaupten, dass heute alles besser ist. Heilung ist ein langwieriger Prozess des Trauerns. Des Trauerns um verpasstes Glück. In meinem Fall ein Trauern um eine Liebe, die ich nie erfahren hatte. Um Geborgenheit und Sicherheit, die ich nie erlebt hatte. Und ein Trauern um das, was die Sehnsucht nach einem Retter aus meinem Leben gemacht hatte. Wie viele Beziehungen nicht zustande gekommen waren, weil mein Unterbewusstes so sehr nach dem Mann suchte, der mich immer und immer wieder ablehnen sollte statt mich auf denjenigen einzulassen, der Stabilität versprach.
Die Erkenntnis über all das war und ist schmerzhaft – teilweise noch heute. Manchmal zieht es mich noch zu Männern, die mit mir spielen, die selbst nicht in der Lage sind, eine verbindliche, stabile Beziehung herzustellen. Doch mir dessen bewusst zu sein, verleiht mir Handlungsfähigkeit. Heute weiß ich: Ich kann mir selbst das geben, was ich in meiner Kindheit so dringend gebraucht hätte.
Die Heilung liegt in der Wunde
Warum ich das erzähle? Weil auch dich niemand anderes retten kann als du selbst. Wir alle fliegen ab und an im Autopilotmodus. Wir alle haben unbewusste Handlungsmuster, die uns steuern und uns manchmal knapp am Glück vorbeinavigieren. Doch das muss nicht immer so weitergehen. Denn du hast genauso wie ich und jeder andere Mensch auf dieser Welt die Fähigkeit, dich selbst zu retten und zu heilen. Was du dafür brauchst, ist Mut. Und Vertrauen in dich selbst.
Die Heilung unserer alten Wunden liegt in der Wunde selbst. Viele Wunden heilen, wenn wir sie uns nur anschauen. Andere brauchen mehr Pflege und fachmännische Versorgung. Es ist völlig okay, wenn du dafür Hilfe in Anspruch nimmst! Doch vergiss nicht, dass du selbst dich heilen wirst.
Wenn du bereit bist, alles zu fühlen, was gefühlt werden will und dir selbst all das zu geben, was dir bisher gefehlt hast, wirst auch du nicht mehr auf einen Retter/eine Retterin warten müssen, sondern darfst leben. Bewusst und frei und offen für alles, was kommt.
Photocredit: Egor Myznik / Unsplash
Wow, das Geschilderte habe ich sehr aehnlich in einem sehr langen und schmerzhaften Prozess durchlebt. Ich dachte damals, und manchmal auch heute noch- dass dieser innere Prozess nie aufhören würde. Dass der Schmerz immer wiederkehrt. Aber heute kann ich sagen, dass es etwas leichter wird bei sich anzukommen. Die dunklen Schatte streifen den Alltag, ohne dass es mich in eine Depression bringt. Danke für Deine Offenheit.
Mara
Ganz lieben Dank für deine Offenheit, Mara! Was für ein schönes Bild, dass dich die dunklen Schatten streifen. Ich bin mir sicher, dass Leben immer Schatten und Licht bedeutet, aber das das Lichtvolle letztlich überwiegen wird, wenn wir uns auch den Schatten stellen. Ganz liebe Grüße, Angela