Dem eigenen Schatten begegnen – Filmtipp: Einsam Zweisam

Sie ist erdrückend, diese Schwermut. Tag ein, Tag aus leben Mélanie und Rémy ein Leben, das schon vor langer Zeit die Leichtigkeit zu Grabe getragen hat. Beide leben in Paris, einem Paris, das immer grau, groß und anonym zu sein scheint…

Der französische Regisseur Cédric Klapisch, bekannt durch den Film „L’Auberge Espagnole“, hat nicht umsonst die Stadt der Liebe ausgewählt, um die Einsamkeit einer Generation einzufangen. Mit seinem neuesten Film „Einsam Zweisam“ gelingt es ihm, ein Gefühl der Einsamkeit zu beschreiben, dem auch mit den unendlichen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters nicht beizukommen ist.

Mélanie (Ana Girardot) und Rémy (François Civil), beide Anfang 30, leben im wahrsten Sinne des Wortes aneinander vorbei. Sie wohnen Tür an Tür, nehmen die gleiche U-Bahn, kaufen beim selben charmanten Araber ein und haben die gleiche diffuse Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die kaum greifbar scheint. Nach Liebe, nach Zweisamkeit – das muss es wohl sein. Sie fangen an zu suchen, Mélanie über Tinder, Rémy über Facebook. Doch wissen sie tief in ihrem Innersten, dass eine Beziehung ihre Schwermut nicht in Luft auflösen würde.

Die Sache mit dem Schlaf

Immer wieder rollen Züge donnernd an den Apartments der beiden vorbei. So als würde das Glück im Minutentakt an ihnen vorbeirasen, ohne jemals Halt zu machen. Dabei tun sie beide ihr Bestes, ihr Leben zu meistern. Rémy arbeitet im Callcenter, Mélanie in einem Labor. Äußerlich scheint ihr Leben stabil. Doch auch der stabile Rahmen füllt nicht die innere Leere. Hinzu kommt die unsägliche Sache mit dem Schlaf. Rémy kann kaum mehr ein Auge zu tun, wälzt sich Nacht für Nacht in seinem Bett hin und her und schläft dann völlig erschöpft in der Dusche ein. Mélanie dagegen kann nicht genug schlafen. Immer ist sie erschöpft. Immer liegt ein Schleier der Müdigkeit über ihrem Alltag.

Doch nichts hilft. Keine Vitamine, keine Schlaftabletten, keine Dates. Also beschließen beide – getrennt voneinander – eine Therapie zu beginnen. Rémy geht – zunächst recht widerwillig – zu einem älteren Psychologen in einer äußerst kargen Praxis, deren Atmosphäre allein schon eine Therapie notwendig machen würde. Mélanie landet bei einer hippen, äußerst attraktiven Therapeutin in einer stylishen Privatpraxis.

Noch einmal durch den Schmerz gehen

Nach und nach werden die Lebensgeschichten der beiden in der Therapie offen gelegt. Sie greifen ineinander. Rémys Schwester ist als Kind an Krebs verstorben, Mélanie arbeitet in der Krebsforschung. Noch bevor die beiden sich kennenlernen, wird deutlich, dass Mélanies Therapeutin und Rémys Therapeut alte Bekannte sind. Der große Wendepunkt der Geschichte ist ein innerer. Keine lebensverändernde Begegnung in der U-Bahn, eher eine lebensverändernde Begegnung mit sich selbst.

Beide begegnen ihrem Trauma, das sie so lange von ihrem Glück abgehalten hat. Es scheint, als würden sie die angsteinflößenden Momente ihrer Kindheit neuerlich durchleben, um sie ein für allemal abzuschließen. Ein bewegender Moment. Hätten sie sich ihrem Schatten nicht gestellt, hätten sie nicht das große Glück erlebt, das die Zukunft für sie bereithält…

Warum ich den Film empfehle: Weil er so emotional ergreifend deutlich macht, dass Veränderungen im Außen wenig bewirken, wenn ihnen nicht bestimmte Verarbeitungsprozesse auf seelischer Ebene vorweg gehen. Und natürlich, weil der Film in seiner typisch französischen Melancholie so wunderbar lebensnah ist.  

Photocredit: Emmanuelle Jacobson-Roques