Corona als Chance

Du fragst dich vielleicht, was die derzeitige Krise mit der Reise zu deinem wahren Ich zu tun hat. Ich kann dir versichern: eine Menge! Denn mehr denn je erleben wir gerade, dass wir alle miteinander verbunden sind und die Krise uns über kurz oder lang zu uns selbst zurückführt.

Es besteht kein Zweifel: Das Corona-Virus ist eine ernst zu nehmende Angelegenheit und eine große Herausforderung für uns als Individuen, als Partner und Freunde, als Gruppen, als Kommunen, als Staaten und als Weltgemeinschaft. Als krisenerprobter Mensch bin ich trotz allem Leid auf der Welt fest davon überzeugt, dass auch die derzeitige Situation große Chancen mit sich bringt und aus dem Chaos der Krise eine neue, vielleicht sogar nachhaltigere und bessere Ordnung entstehen kann.

Ich möchte dich daher einladen, eine neue Perspektive einzunehmen und Dankbarkeit zu entwickeln für all die Chancen, die uns durch die jetzige Situation aufgezeigt werden. Denn Dankbarkeit fördert nicht nur das eigene Glücksgefühl, sondern auch eine positive Grundstimmung in der Gesellschaft.

Die Welt erholt sich

Jahrelang haben sich Menschen auf der ganzen Welt für Klimaschutz stark gemacht. Sie haben gegen Kraftwerke und gegen die Rodung von Wäldern, gegen SUVs und gegen industrielle Anlagen gekämpft, sich für nachhaltiges Konsumverhalten und für gesunde Böden, Wälder, Gewässer und Lufträume eingesetzt. Einiges ist dadurch in Bewegung gekommen, jedoch nicht genug, um unsere Biosphäre langfristig zu schützen. Nun greift ein Virus den Klimaaktivisten unter die Arme. Dank Corona werden Produktionen heruntergefahren, der Verkehr reduziert und der Konsum eingeschränkt. So kommen Tiere zurück, Gewässer erholen sich und Wälder regenerieren sich. Hört ihr die Erde auch aufatmen? Ich schon.

Den Alltag entschleunigen

Kennst du das Hamsterrad auch von innen? Durch Digitalisierung und Optimierung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Arbeits- und Lebensprozesse immer mehr beschleunigt. Die Folge: Zeit zum Entspannen bleibt kaum noch. Das wiederum kann zu geistigen und körperlichen Erschöpfungszuständen und Erkrankungen führen. Die steigende Zahl der Burnout-Betroffenen macht es deutlich.

Corona zieht nun an der lebenswichtigen Bremse. Für viele mag es zunächst unangenehm sein, so abrupt aus dem Hamsterrad geworfen zu werden, doch auf lange Sicht rettet uns die Entschleunigung vielleicht das Leben. Denn: Möchten wir wirklich immer schneller laufen in unserem Hamsterrad? Möchten wir kurz vor unserem Tod erschreckt feststellen, dass das Leben nur so an uns vorbeigerauscht ist? Jetzt ist der Moment, innezuhalten und einmal tief durchzuatmen.

Zusammenhalt und Mitgefühl lernen

Experten wissen es schon lange: Unsere westlichen Gesellschaften werden immer narzisstischer. Und nicht nur, dass wir Erwachsenen uns selbst am nächsten sind: Wir erziehen auch unsere Kinder zu kleinen Egomanen (zumindest einige von uns). Ein gewisses Maß an Narzissmus ist sicher gesund, doch auch hier macht die Dosis das Gift.

Diejenigen unter uns, die keine Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen am eigenen Leib erfahren haben, können sich kaum noch vorstellen, was es heißt, wenn das Überleben von mehr abhängt als der Versorgung mit Klopapier. Nun bringt ein Virus eine wichtige Frage mit: Was hält unsere Welt wirklich zusammen? Sind es nicht Beziehungen? Liebe? Zusammenhalt? Solidarität? Wir sehen heute mehr denn je: Wir sind alle miteinander verbunden. Und wenn wir alle eins sind, sollten wir dieses Eine dann nicht schützen und lieben?

Unsere Lebensweise hinterfragen

Eigentlich wussten wir es doch schon, oder? Dass es Alternativen zu unserer Lebensweise gibt. Dass nicht jeder Berater einmal die Woche zum Kunden in eine andere Stadt fliegen muss. Dass nicht jede Familie zwei Autos benötigt. Dass wir auch ein paar Euros mehr für ein T-Shirt zahlen könnten, das nicht von Kindern in Dhaka genäht wurde. Dass uns Pflegepersonal fehlt. Dass Krankenhäuser, die aus wirtschaftlichen Gründen aufs allernötigste zusammengeschrumpft werden, in der Krise nicht ausreichen. Dass uns irgendwie die Weitsicht und Werte flöten gegangen sind. Wie praktisch, dass uns jetzt ein Coronavirus wachrüttelt und helfen kann, neue Konzepte zu erarbeiten, um unsere Wirtschaft und unsere Werte in Einklang zu bringen.

Die Kontrolle abgeben

Man mag es kaum zugeben, aber wir Deutschen sind wirklich manchmal ganz schön deutsch. Vor allem, wenn es darum geht, zu planen, zu organisieren und zu kontrollieren. Wir lieben Exceltabellen, verfassen digitale Einkaufslisten, planen den Urlaub zwei Jahre im Voraus und sind Meister des beruflichen und familiären Projektmanagements. Das ist ja auch alles ganz famos. Meistens zumindest.

Aber könnte es uns nicht vielleicht ein kleines bisschen guttun, nicht zu planen, sondern nur im Hier und Jetzt zu leben? Einfach nur zu sein? Mal aus dem Fenster zu gucken, den Vögeln im Park zuzuhören, spontan einen Freund anzurufen? Wie fühlt sich das an, nicht zu wissen, was morgen ist? Unangenehm? Ja, mag sein. Aber ist das Morgen nicht eh immer nur eine Illusion? Und nur der jetzige Moment das wirkliche Leben?

Sich selbst begegnen

Weißt du wirklich, wer du bist? Kennst du deine tiefsten Sehnsüchte? Weißt du, welche Ängste dich antreiben? Warum du mit bestimmten Menschentypen immer wieder in Konflikt gerätst und dich zu anderen hingezogen fühlst? Kannst du aus dem Stehgreif sagen, was du schon immer mal machen wolltest und wen du im Leben am meisten geliebt hast? Tröste dich, falls du nicht alles beantworten kannst: Niemand kennt sich in allen Facetten. Unser Unterbewusstsein ist zu groß, um es gänzlich mit dem Verstand zu erfassen. Aber glaube mir: Die Reise zu dir selbst lohnt sich trotzdem. Es ist eine aufregende Reise mit Höhen und Tiefen, mit dunklen Abschnitten und wundersamen Erleuchtungen. Viel zu selten wagen wir diese Reise. Zu häufig übertönt der Alltag die leise Stimme in uns, die flüstert: „Wer bin ich?“ und „Was macht mich glücklich?“.

Das Coronavirus schenkt uns im Moment Ruhe und Isolation. Der Raum, der dadurch ins uns entsteht, bringt bei vielen Menschen Ängste zum Vorschein, die erstmal eine neue Angst wecken können: Die Angst vor der Angst. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Du bist größer als die Angst. Wenn du den Mut aufbringst, dich mit allem, was in dir ist, auseinander zu setzen, wirst du auf lange Sicht noch authentischer und strahlender, als du es jetzt schon bist. Und dann findest du vielleicht Antworten auf Fragen, wie du dich nie zu fragen getraut hast.

Photocredit: Stanislav Kondratiev /Unsplash, Jiroe/Unsplash