In Liebe zu einem Fährmann

Warst du schon mal in einen Fährmann verliebt? Nein? Ich sage dir, warum du es bestimmt doch warst.

Dazu möchte ich dir eine ganz persönliche Geschichte erzählen.

Vor kurzem musste ich einige Zeit in einer Kurklinik verbringen. In meiner Wahrnehmung war es eine sehr lange Zeit. Die Klinik war ein gruseliger Ort. Ich fühlte mich von Anfang an unwohl. Das Haus und die Zimmer waren alt und gammelig, viele Patienten pöbelig, das Wetter war trübe und die Energie im Haus belastete mich. Ich wollte weg. Aber ich blieb, weil mein Bauchgefühl sagte: Es hat seinen Sinn, dass du hier bist. Also biss ich die Zähne zusammen und arrangierte mich mit der Situation. Nach ein paar Tagen – ich war immer noch grantig und litt unter der Atmosphäre im Haus und der aufkeimenden Einsamkeit – erschien Licht am Ende des Tunnels.

Eine vertraute Seele

Ein Pfleger des Hauses wollte mich sprechen. Ich ging zu ihm. Er sei in Urlaub gewesen und wollte mich mal sehen, erklärte er. Ich sah ihn und sah eigentlich nur eins: eine vertraute Seele. Wie er aussah, wusste ich Minuten später nicht mehr. Wie sich seine Gegenwart anfühlte, dafür umso mehr. In den kommenden Wochen saß ich jeden Tag bei ihm. Mal redete er, mal ich. Er stellte Fragen, die genau in mein Herz trafen und wusste immer, wann sich unter meiner Fröhlichkeit Trauer versteckte. Kurzum: Er war ein Geschenk des Himmels.

Als ich ein paar Wochen später nach Hause fuhr, trafen mich die Einsamkeit und die Sehnsucht wie ein Blitzschlag. Mein Herz war schwer wie Blei. Der Abschied schmerzte, doch ich wusste: Es muss weitergehen. Ein neues, anderes Leben würde auf mich warten. Festhalten war keine Option.

Da wurde mir klar: Der wunderbare Mensch, dem ich begegnet war, war wie ein Fährmann auf einem Schiff, das einen dunklen Fluss überquert. Er kannte den Weg und vor allem die Richtung zum nächsten Ufer, weil er diesen Weg schon so oft gefahren war. Er wusste, was er sagen musste, um mich zu beruhigen. Er wusste, wie ich fühlte. Doch eines wusste er auch: Dass jede Überfahrt ein Ende haben würde und dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem er umdrehen müsste.

Ich schluckte, als mir klar wurde, dass ich nun allein am Ufer stand. Aber gleichzeitig erfüllte mich tiefe Dankbarkeit, auf meinem Weg nicht allein gewesen zu sein.

Wer begleitet dich durch den Nebel?

Ich bin mir sicher, dass auch du Menschen begegnest bist, die dich nur eine kurze Zeit deines Lebens begleiten sollten. Die auf einmal da waren, wenn du nicht weiterwusstest. Die dich ablenken konnten von Ärger, Schmerz und Trauer. Die dir Hoffnung und Leichtigkeit schenkten.  

Und wenn du mal zurückschaust: Über welche Flüsse und Seen haben sie dich geführt? In welchen Momenten haben sie deine Hand gehalten? In welchen Momenten haben sie sich mit dir durch den Nebel gekämpft? Wann kannten sie den Weg, wenn du ihn nicht mehr sehen konntest?

Manchmal treten diese Menschen ganz plötzlich in unser Leben und sind genauso schnell wieder weg. Manchmal schmerzt der Abschied, andere Male bekommen wir ihn kaum mit. Doch eines ist sicher: Die Fährleute unseres Lebens haben unsere Liebe verdient. Und die Menschen, die wir lieben, haben verdient, dass wir sie durch den Nebel begleiten.

Photocredit: Corbin Richardson/Unsplash