Sawubona – Ich sehe dich
Worte können berühren. Worte können verletzen. Worte können heilen. Und dennoch: Oft gehen wir allzu unvorsichtig mit ihnen um. Dabei kann der richtige Satz unser Leben verändern.
16 000 Worte sprechen wir dem Linguisten Matthias Mehl zufolge pro Tag. Das ist viel. Oft auch mehr als nötig. Denn: Wir schwafeln, wir plappern, wir schwatzen. Wir benutzen Floskeln, um Unsicherheit zu überdecken und Lückenfüller, um Stille nicht zu ertragen. Doch manchmal – in all den Worfluten, die uns überströmen – hören wir etwas, das über Jahre oder Jahrzehnte in uns nachhallt.
Von sprachlicher oder emotionaler Tiefe erfüllt ist jedoch selten unser Gesprächsbeginn. „Hey, Wie geht’s?“, „Ja danke, muss – und selbst?“ ist ein Klassiker, der weder eine Beziehung stützt noch zu Erleuchtung führt. Die südafrikanische Landessprache Zulu dagegen kommt mit mehr Zauber daher. Hier sagt man zur Begrüßung „Sawubona“. Gemeint ist „Guten Tag“, wörtlich überzeugt heißt Sawubona jedoch „Ich sehe dich“ oder sogar „Unser Stamm sieht dich“.
Ich sehe dich. Ein mächtiger Satz. Ich sehe dich. Mit allem, was dich ausmacht. Ich sehe deinen Schmerz. Ich sehe deine Freude. Ich sehe, dass du da bist und wertvoll bist. Ich sehe deine Seele. Es heißt: Die Zulu begegnen sich langsam, um sehen zu können, wer sie wirklich sind. Sie suchen nach Momenten, in denen sie Augenkontakt mit der Person halten können, mit der sie sprechen. Sie haben gelernt, andere Menschen zu fühlen und ihnen zuzuhören.
Können wir das auch? Andere wirklich sehen – mit allem, was sie ausmacht? Sie fühlen, bevor wir in Floskeln abdriften? Ihre Bedürfnisse, Sorgen und auch Leidenschaften erkennen? Vielleicht hilft es, einen Moment innezuhalten und wirken lassen, was wir wahrnehmen. Denn wünschen wir uns das nicht alle: wirklich gesehen zu werden?
Quellen:
https://www.globalonenessproject.org/library/interviews/sawubona
https://www.swr.de/kirche-im-swr/Gedanken-Sawubona-Ich-sehe-dich,av-o1108938-100.html
https://gedankenwelt.de/sawubona-ein-schoener-gruss-eines-afrikanischen-stammes/
Photocredit: Sebastian Leon Prado/Unsplash