Warum meine Privatinsolvenz ein Geschenk war

Warum ist das Leben so ungerecht? Warum passiert gerade mir so viel Schlechtes? Warum ist es nur so schwer? Vielleicht hast du dir diese Fragen auch schon gestellt. Ich möchte dir erzählen, welche Antworten ich auf meinem Lebensweg gefunden habe.

Als ich dieses Leben betrat, war es nicht meine Intention, im Schatten eines schwerkranken Vaters aufzuwachsen. Auch hatte ich mir nicht vorgenommen, mir ständig das Herz brechen zu lassen, chronisch krank zu werden und meinen Traumjob nach wenigen Jahren wieder aufgeben zu müssen, nachdem ich ihn schicksalhaft gefunden und abgöttisch geliebt hatte.

Ebenso wenig hatte ich mir vorgestellt, in der „besten Zeit meines Lebens“, mit knapp 30, weinend im Büro eines charmanten Schuldenberaters mit Goldkettchen und kurzärmeligem Beamtenhemd zu sitzen und zu realisieren, dass ich Schulden hatte, viel zu hohe Schulden und dass der einzige Weg zum Glück über eine Privatinsolvenz führen würde.

Sich schuldig machen

Seitdem sind knapp fünf Jahre verstrichen. Dem voran gingen drei Jahre der außergerichtlichen Verhandlungen. Jahre, in denen ich Banken, die mich betrogen hatten, mein komplettes Privatleben offenlegen musste. Jahre, in denen ich über Monate hinweg nicht wusste, ob ich meine Miete zahlen könnte. Jahre, in denen ich gezwungen war, jeden Cent umzudrehen und keine Insolvenz beantragen konnte, weil meine Miete so hoch war, dass eine Insolvenz in die Obdachlosigkeit geführt hätte.

„Sie wissen nicht, wie vielen jungen Menschen es so geht wie Ihnen“, sagte der beste Schuldenberater, den mir das Universum zuteilen konnte. „Sie müssen sich keine Sorgen machen“, sagte er, „Sie haben den Banken so viel Zinsen gezahlt, dass sie mit Ihnen keine Verluste machen.“ Ja, ich weinte auch, weil ich mich nicht schuldig machen wollte. Nichts und niemandem gegenüber. Doch der Wille half nicht. Ich sollte erleben, was es heißt, nichts zu haben und Institutionen und Menschen etwas schuldig zu sein.

Hätte ich im Nachhinein anders entschieden? Die Frage sei unsinnig, fand mein Berater, der im Übrigen frustriert war, weil seine Klient:innen immer so deprimiert waren (das habe er sich so nicht vorgestellt, tja…). Ich stellte mir die Frage trotzdem. Man will ja dazu lernen. Fürs nächste Leben und so. Ich weiß bis heute keine Antwort auf die Frage, ob ich anders entschieden hätte. Konnte ich doch nicht beeinflussen, dass meine Uni in London die Studiengebühren erhöhen und ich fast 700 Euro pro Monat für ein Wohnheimzimmer zahlen sollte. Ebenso wenig konnte ich beeinflussen, dass die Therapiekosten für meine chronische Erkrankung mein letztes Geld verpuffen lassen würden und uns zwölf nahestehende Menschen plötzlich wegsterben.

Ganz schön naiv

Ja, vielleicht war ich zu gutgläubig, als mir die Bankangestellte eine ungültige Kreditversicherung andrehte mit den Worten „Meiner Tochter würde ich das Gleiche empfehlen“ und ein Jahr später monatlich 450 Euro von meinen 900 Euro Arbeitslosengeld einzog. Weil die Versicherung zufälligerweise nicht greifen konnte.

Ja, vielleicht war es auch naiv zu glauben, dass ich Erfolg als Journalistin haben würde und sich schließlich all die teuer finanzierten Praktika beim Stern, der F.A.Z., der Süddeutschen Zeitung, RTL usw. rentieren würden. Dass ich eine gut bezahlte Festanstellung finden würde, mithilfe derer ich nach und nach meine Schulden abbauen könnte. Zugegeben: Die Hoffnung hatten viele. Konnten doch die meisten von uns nicht ahnen, dass sich die Medienwelt nach einer tektonischen Plattenverschiebung nicht einfach so wieder zurückruckeln würde. Und mir ganz sicher niemand eine feste Redakteursstelle anbieten würde. Talent hin oder her.

Hätte ich es also anders machen können? Ja, vielleicht. Aber das war nicht der Plan. Die Insolvenz gehört zu meinem Leben. Natürlich hätte ich gerne mehr als einen Urlaub in fünf Jahren erlebt. Natürlich war es kein Spaß, meinen Freund:innen wie eine kaputte Schallplatte immer und immer wieder vorleiern zu müssen, dass ich kein Geld habe, um mit Ihnen ins Kino, Kaffee trinken oder essen zu gehen und ich ganz sicher nicht zur Hochzeit von XY nach Neuseeland, Luxemburg, Finnland oder sonst wohin fliegen konnte, weil ich nicht mal wusste, wie ich in der nächsten Woche meine Miete stemmen sollte.

Sicherheit? Fehlanzeige!

Gern hätte ich mir mitleidige Blicke, dumme Fragen, altkluge Ratschläge, Verachtung und Ungläubigkeit meiner Mitmenschen erspart. Auch gönnerhafte Angebote wie „Weißt du was, ich zahl‘ heute mal die Hälfte deiner Limonade“ waren mehr würdelos als hilfreich.

Es war fürchterlich und schmerzhaft. Ich hatte mein Vertrauen ins Leben verloren. Und ich hatte Albträume. Mal stürzte das Haus über mir ein, mal ertrank ich darin, mal krochen Monster aus den Wänden, mal war das Haus voller Falltüren. Immer war es beängstigend. Aber auch faszinierend, welchen kreativen Aufwand mein Unterbewusstsein darbot, um mir klar zu machen, dass es keine Sicherheit in meinem Leben gab.

Warum ich das alles schreibe? Weil ich vor allem drei Dinge aus den vergangenen acht Jahren gelernt habe:

1. Wir sind für all das gemacht.  
2. Nichts ist Zufall.
3. Was gut und was schlecht ist, erschließt sich erst im Nachhinein.

Am Anfang dieses Textes steht: „Es war nicht meine Intention…“ Das stimmt so nur teilweise. Es war wahrlich nicht die Idee meines Geistes, all das Leid zu erfahren, was ich erfahren sollte. Wer ist schon so wahnsinnig, sich solche Herausforderungen auszusuchen? Und dennoch: ES WAR GENAU SO, wie es sich meine SEELE ausgesucht hatte. Sie hatte sich, bevor sie in dieses Leben trat, für genau diese Prüfungen entschieden. Hätte ich andere Entscheidungen getroffen, hätte sie sichergestellt, dass ich dennoch Armut und Hilflosigkeit erleben würde. Das klingt schlimm. Und arschig von ihr. Aber so arschig ist es gar nicht. Sie hat mir zwar mein Schicksal vorgegeben. Aber gleichzeitig hat sie mir auch die Ressourcen zur Verfügung gestellt, um die Herausforderungen zu bewältigen und mein Leid zu transformieren.

Ein grandioses Puzzle

Was ich erlebt habe, war schlimm. Einerseits. Andererseits war es ein Geschenk des Himmels. Ich durfte nicht nur erfahren, wie viel Kraft und Weisheit in mir steckt und wie es sich anfühlt, von wunderbaren Menschen beschenkt und unterstützt zu werden, sondern ich durfte dank der Privatinsolvenz auch einen Platz in der besten Burnoutklinik Deutschlands ergattern, was mir wiederum mein Leben rettete und eine große Transformation in Gang setzte.

Kurzum: Das Leben scheint wie ein großes Wirrwarr an glücklichen und unglücklichen Zufällen. Doch in Wahrheit ist es ein ausgeklügeltes Puzzle aus tausenden von Teilen, die perfekt ineinandergreifen und die als Ganzes ein beeindruckendes Bild ergeben. Ein Bild, das wir erst aus der Ferne erkennen, aber schon erspüren können, wenn wir jedes noch so winzige Puzzleteil in den Händen halten und uns fragen: „Wo zur Hölle soll das nur hin?“

Ich kann es kaum erwarten, bald wieder frei zu sein und einen großen Teil dieses Puzzles fertiggestellt zu haben. Es war ganz schön friemelig und langwierig, aber ich bin echt gut geworden. Im Leben und im Puzzeln. Und ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich all denen bin, die in dieser Zeit für mich da waren ❤